Wenn die kleinen Kinder zahnen, ist es nicht immer damit getan, dass ihnen der Speichel ein bisschen vermehrt aus dem Mund rinnt und ein Zahn nach dem anderen schön nebeneinander im Mund zum Vorschein kommt. Nein – die Zahnerei kann manchmal begleitet sein durch extrem anhängliches Verhalten, unruhigen Schlaf oder dem Bedürfnis nach vermehrtem gestillt werden (gefühltes Dauerstillen!). Während die einen Kinder eher tagsüber weinerlich sind und ständig die Nähe suchen, bekommen andere Kinder in der Nacht leichtes Fieber oder sind sehr unruhig. Bei manchen scheint eine leichte Erkältung jeden neu kommenden Zahn zu begleiten, andere zerbeißen sämtliche Schnuller, um die Spannungen im Mund los zu werden. Die Reaktionen, das Verhalten der Kinder in dieser kleinen Lebenskrise ist so unterschiedlich wie die Kinder selbst.
Ja, ich nenne dies eine kleine Lebenskrise, denn hier können wir als Eltern zum ersten mal über einen längeren Zeitraum erleben und auch lernen, wie sich unser Kind in einer (harmlosen) Krise zeigt. Wir erleben nicht nur, wie die Kinder damit umgehen, mit dem Schmerz, den Spannungen im Mund, sondern vor allem können wir uns selbst erleben, wie WIR damit umgehen. „Aha! So ist also mein Kind, so zeigt sich mein Kind in einer Krise, die es einfach durchzustehen gilt. Die alle Kinder durchstehen und auch ich durchgestanden habe. Oha! So geht es mir dabei, mein Kind in dieser Zeit zu erleben, zu begleiten!“
Haben wir Mit-leid mit dem Kind? Steigen wir ein auf die schwankenden Emotionen und spüren mehr und mehr eine emotionale Unausgeglichenheit? Versuchen wir, dem Kind die Schmerzen abzunehmen, wegzunehmen? Halten wir das Weinen aus? Halten wir es aus, dass unser Kind einen wichtigen Lebensprozess durchmacht und wir nichts weiter tun müssen oder können, als da zu sein, Trost zu spenden und durch natürliche Hilfsmittel Entlastung zu bieten? Natürliche Hilfsmittel zum Beispiel in Form eines kühlen, nassen Tuches, auf das sie beißen können. Sind wir bereit, unruhige Nächte mit vermehrtem Stillen oder ein paar Schlückchen kühlem Wasser zu überbrücken und gemeinsam durch zu stehen? Oder greifen wir lieber zu Medikamenten, die den Schmerz und auch manch anderes einfach „wegdrücken“?
Was vermitteln wir mit der Haltung des Mitfühlens statt des Mitleidens? Was vermitteln wir, wenn wir das Kind unterstützen, durch diese Krise zu kommen ohne (zu viele) künstliche Hilfsmittel (wie Medikamente)?
Ich glaube, dass es wichtig ist, den Kindern diese Krise zuzumuten und auch zuzugestehen. Natürlich gibt es da manchmal gute und weniger gute Tage und Nächte. Natürlich ist es nicht immer gleich gut auszuhalten, wenn unser Kind quengelig ist. Aber wir können uns neue Verhaltensweisen aneignen, die uns helfen, fürsorglich miteinander umzugehen, mit unseren Kindern und vor allem auch mit uns selbst. Gönnen wir uns manchmal eine Pause? Äußern wir unsere Bedürfnisse gegenüber unserem Umfeld, um Entlastung zu bekommen um dann wieder gestärkt für unser Kind da sein zu können?
Gleichzeitig lernen wir durch die Begleitung der Kinder während der Zahnerei loszulassen. Nämlich die Vorstellung, den Kindern alles abnehmen zu müssen, sie vor Schmerzen zu bewahren und ihnen einen Sonnenscheintag nach dem anderen zu schenken. Auch die Regentage, Nebeltage, Sturmtage gehören zum Leben.
Und es ist gut, dies schon früh gemeinsam zu lernen. Das Kind auf seine Weise und wir Eltern auf unsere Weise. Schritt für Schritt lernen, mit den Gegebenheiten des Lebens aus eigener Kraft und im Vertrauen umzugehen. Immer wieder erfahren, dass jede unruhige Nacht irgendwann vorbei ist, jeder Zahn irgendwann durchgebrochen ist, jede Erkältung sich wieder verabschiedet und es immer wieder Momente der Ruhe, der Freude, der Zufriedenheit, des Glücks gibt. Und irgendwann sind die Zähne alle da! Hurra!!
Also – üben wir Resilienz. Üben wir, die Kraft in jedem zu sehen, kleinere und größere Krisen zu überstehen. Ohne Manipulation und sämtliche Ablenkungsmechanismen von außen. Vertrauen wir auf unsere Stärken und die Stärken unserer Kinder!
Und wenn sich dann die ersten Zähne wieder verabschieden damit die zweiten Zähne Platz haben, dürfen wir unser Kind auch hier wieder durch eine kleine Lebenskrise begleiten.
Und wenn sie in die Pubertät kommen, sowieso! Obwohl das ja auch meistens bei uns eine Krise auslöst, oder?