Warum ist es scheinbar einfacher, die Symptome eines Problems zu „bekämpfen“ statt nach den Ursachen zu forschen? Wahrscheinlich ist es so, dass wir zu wenig Mut und Kraft haben, um uns den emotionalen Schmerzen zu stellen, die zutage kommen, wenn wir tiefer schauen würden.
Spätestens wenn wir selbst Eltern werden, verändert sich unser Blick auf uns selbst, unsere Ursprungsfamilie und unser Umfeld. Wir sind mitunter konfrontiert mit familiären Verstrickungen, die zutage treten, weil wir als junge Eltern mit unseren Kindern andere Werte leben wollen und dies zu Unverständnis und Konflikten im Kontakt mit den Verwandten führt. Zudem hinterfragen wir vielleicht manche „Familiengewohnheiten“, die wir als Kinder und Jugendliche als gegeben hingenommen haben und lösen dadurch in der Ursprungsfamilie Tumulte aus. Stehen wir als Eltern sowieso vor vielen neuen Entscheidungen im Umgang mit unseren Kindern, stellt uns das mögliche rechtfertigen Müssen unseres Tuns gegenüber Familienmitgliedern vor sehr große Herausforderungen. Mitunter ziehen wir uns ein wenig zurück, um Konflikte zu vermeiden, finden ausreden, warum wir uns nicht mit der Verwandtschaft treffen können, machen gute Miene zum „bösen“ Spiel oder schieben die Kinder als Puffer zwischen uns und die lieben Verwandten. Eine Zeitlang können wir diese Strategien versuchen – aber wohltuend sind sie für uns nicht. Das Symptom – die Sticheleien, die Kommentare, die missbilligenden Blicke – „bekämpfen“ in dem wir einen Scherz darüber machen und uns dabei schlecht fühlen, den Kontakt vermeiden und uns auch nicht gut fühlen, die Kinder dazwischen schieben und uns miserabel fühlen.
In den Gesprächskreisen meiner SpielRaum-Gruppen wird diese Dynamik immer wieder von Eltern thematisiert. Sie berichten von Konflikten in der Partnerschaft, ausgelöst durch die vielen „gut gemeinten“ Ratschläge und Einmischungen der Verwandtschaft. Von großen Unsicherheiten, ob ihre Begleitung als Eltern ihrer Kinder „gut genug“ ist. Von der Enttäuschung und Verletztheit darüber, dass sie statt Unterstützung und Wertschätzung eher Kritik und Missbilligung erfahren. Ja – manchmal auch von Kontaktabbruch mit der Ursprungsfamilie.
Manchmal lässt sich durch ein feinfühliges, klärendes Gespräch die Problematik lösen. Wenn wir den Mut haben, uns als Eltern klar zu positionieren und so deutlich machen, dass unsere Familie mit den Werten, die wir leben möchten, zu respektieren ist. Hier braucht es natürlich auch eine gute Gesprächsbasis und gegenseitiges Verständnis. Manchmal sind die Dinge, die in der Sippe zu Konflikten führen, aber ziemlich verzwickt und unser Sosein mit den eigenen Kindern triggert in der Ursprungsfamilie tieferliegende Themen an. Dass wir unsere Familienmitglieder nicht ändern können ist klar.
Aber zu wissen, was denn die Ursachen für die andauernden Kritikpunkte sind, kann uns helfen, die verletzenden Aussagen und Handlungen nicht zu uns zu nehmen, sondern sie stehen zu lassen und mehr bei uns zu bleiben. Wir können uns dann besser schützen und bieten keine Angriffsfläche mehr.
Hilfreich sind Familienaufstellungen. Mitunter kristallisiert sich dadurch heraus, dass unser Handeln, unsere Worte, Anteile des unter der Wasseroberfläche liegenden Eisbergs triggern, den gewisse Personen in der Sippe gerne verdrängen oder sich dessen gar nicht bewusst sind. Es kann sein, dass transgenerations Traumatas wirken, dass alte, autoritäre Strukturen und Verstrickungen nicht gelöst wurden. Für die unbewussten, unverarbeiteten Themen der Anderen sind wir nicht verantwortlich. Wir können nur bei uns selbst versuchen, nicht nur die Spitze des Eisbergs zu erkennen, sondern auch den Anteil unter der Wasseroberfläche erforschen. Um besser zu verstehen, was unser Lebens- und Verhaltensmuster geprägt hat, wo unsere Wunden sind und was geheilt werden möchte. Das ist keine einfache Sache. Wahrlich kein Spaziergang. Sondern mitunter ein jahrelanger Prozess. Er kann uns helfen, immer mutiger und authentischer unserem Weg zu folgen. Im Bewusstsein, dass wir so, wenn unsere Kinder dann zu Eltern werden, nicht unsere unverarbeiteten Themen an ihnen „auslassen müssen“.
Hier zitiere ich nochmal Dr. Gabor Mate
…dem Erkennen, was in uns und um uns herum real und authentisch ist und was nicht;
dem Erkennen, wer wir sind und wer wir nicht sind;
dem Erkennen, was unser Körper ausdrückt und unser Verstand unterdrückt…
Nur Mut – geht euren Weg, schaut tief ins Gestrüpp – es lohnt sich!